Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung bei anderweitig freiem Arbeitsplatz (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.06.2009, 2 AZR 107/07)

Vereitelt der Arbeitgeber eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit eines Arbeitnehmers dadurch, dass er vor Ausspruch der Kündigung freie Stellen noch mit neu eingestellten Bewerbern besetzt, obgleich die Kündigung bereits beschlossene Sache war, so verhält er sich treuwidrig und kann sich nicht auf das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit des zu entlassenden Arbeitnehmers im Betrieb berufen. Er wird dann vielmehr so behandelt, als wenn der Arbeitnehmer auf einem freien anderen Arbeitsplatz hätte beschäftigt werden können. Eine deshalb aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

Sachverhalt:

Der Arbeitgeber kündigte einem bei ihm seit knapp 30 Jahren als Chemielaboranten tätigen Arbeitnehmer fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen zunächst zum Ablauf des Jahres 2004, weil bereits zuvor der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers im Betrieb weggefallen war. Hiergegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und gewann diese, da der Arbeitgeber den Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers als Ersatzmitglied des Betriebsrats nicht beachtet hatte. Hieraufhin hat der Arbeitgeber eine weitere betriebsbedingte Kündigung im Juni 2005 zum Ablauf des Jahres 2005 ausgesprochen. Der besondere Kündigungsschutz des Arbeitnehmers war mittlerweile abgelaufen.
Hiergegen wendet der Arbeitnehmer ein, dass andere freie Arbeitsplätze zur Verfügung gestanden haben, auf denen er hätte weiterbeschäftigt werden können und für die er geeignet gewesen wäre. Der Arbeitnehmer weist zugleich darauf hin, dass in den Jahren 2004 und 2005 mehrere Stellenausschreibungen auf vergleichbare Arbeitsplätze erfolgt sind, er hierbei jedoch nicht berücksichtigt worden sei, sondern diese Arbeitsplätze mit Berufsanfängern besetzt worden sind. Der Arbeitgeber entgegnete, dass jedenfalls im Zeitpunkt des Ausspruchs der zweiten Kündigung die vom Arbeitnehmer benannten Arbeitsplätze nicht mehr frei gewesen seien. Überdies würden dem Arbeitnehmer die erforderlichen Erfahrungen und Kenntnisse mit den jüngst eingeführten vollautomatisierten Prozessleitungssystemen fehlen.

Entscheidung:

Das BAG hat die betriebsbedingte Kündigung als nicht sozial gerechtfertigt angesehen und damit dem Arbeitnehmer Recht gegeben (BAG, Urteil vom 05.06.2009, 2 AZR 107/07).
Nach Ansicht des BAG wäre es unter Berücksichtigung nach einer angemessenen Einarbeitszeit des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber zumutbar gewesen, den Arbeitnehmer auf den zwischenzeitlich besetzen Arbeitsstellen zu beschäftigen. In einer relativ kurzen Zeit hätte sich der Arbeitnehmer die erforderlichen Kenntnisse mit den neu eingeführten vollautomatisierten Prozessleitungssystemen angeeignet gehabt. Im Hinblick hierauf hätte sich dem Arbeitgeber aufdrängen müssen, dass der Arbeitnehmer auf einem zuvor freien Arbeitsplatz hätte weiter beschäftigt werden können.
Zwar war keiner dieser Arbeitsplätze im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch frei. Allerdings muss gesehen werden, dass der Arbeitgeber es stets in der Hand hat, vor Ausspruch seiner Kündigung zunächst freie Arbeitsplätze zu besetzen. Hierdurch eröffnet sich für den Arbeitgeber grundsätzlich aber auch die Möglichkeit, den Kündigungsschutz zugunsten eines Arbeitnehmers bewusst zu vereiteln, wenn gerade im Hinblick auf die auszusprechende Kündigung eine freie Stelle noch anderweitig besetzt wird.
So hat das Bundesarbeitsgericht den Fall hier gesehen. Nach der Einlassung des Arbeitgebers war der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers bereits zu Ende des Jahres 2003 weggefallen. Bereits seit Beginn des Jahres 2004 bestand daher in der Person des Arbeitnehmers ein Personalüberhang, der aber gerade nicht dadurch versucht wurde abzubauen, dem Arbeitnehmer einen der zwischenzeitlich freien Arbeitsplätze anzubieten. Weil für den Arbeitgeber zugleich bereits ab Anfang des Jahres 2004 feststand, dass der Arbeitnehmer nicht auf seinem alten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden konnte, hätte der Arbeitgeber bei jeder der neuen Stellenbesetzungen den Arbeitnehmer berücksichtigen müssen. Geschieht das nicht, verhält sich der Arbeitgeber treuwidrig und kann sich nicht auf den Wegfall eines freien Arbeitsplatzes berufen, um somit eine betriebsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers zu untermauern.

Auswirkungen und Empfehlungen:

Der Arbeitnehmer tut gut daran, selbst zu recherchieren, ob und inwieweit im Zeitpunkt der Kündigung bereits andere Arbeitsplätze frei sind oder absehbar ist, dass freie Arbeitsplätze bei Ausscheiden bestehen. Hat der Arbeitgeber nämlich eine Möglichkeit, den Arbeitnehmer auf einer anderen freien Stelle zu beschäftigen, ist die Kündigung unwirksam. Als anderweitig freier Arbeitsplatz gilt auch ein solcher, auf dem Leiharbeitnehmer beschäftigt werden. Ergibt sich erst während des Laufs der Kündigungsfrist, dass ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, ist die Kündigung nicht deswegen unwirksam, es kann aber aus diesem Grund ein Wiedereinstellungsanspruch des zuvor gekündigten Arbeitnehmers in Betracht kommen.

Ist für den Arbeitgeber bereits bei Ausspruch der Kündigung ersichtlich, dass ein anderweitig freier zumutbarer Arbeitsplatz vorhanden ist bzw. in Zukunft vorhanden sein wird, sollte gegebenenfalls sogleich über den Ausspruch einer betriebsbedingten Änderungskündigung statt der betriebsbedingten Beendigungskündigung nachgedacht werden. Hingegen hat die Kündigung Bestand, wenn sich erst nach dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ergibt, dass ein anderweitig zumutbarer Arbeitsplatz frei wird.








Eingestellt am 26.08.2009 von Dr. Thomas Langner
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