Bei Fehlen einer anderen Regelung gilt der gesetzliche Mindesturlaub als zuerst in Anspruch genommen (BAG, Urteil vom 01.03.2022 – 9 AZR 353/21)



Der Fall:

Dem Arbeitnehmer haben für das Kalenderjahr 2016 insgesamt 37 Tage Urlaub zugestanden. Diese setzten sich wie folgt zusammen: 20 Tage gesetzlicher Mindesturlaub, 12 zusätzliche Urlaubstage nach Tarifvertrag sowie weitere 5 zusätzliche Urlaubstage als Schwerbehinderter. Vor Ablauf des Jahres 2016 hatte der Arbeitnehmer hiervon 26 Urlaubstage in Anspruch genommen. Danach erkrankte der Arbeitnehmer und kehrte bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses im August 2020 nicht wieder zur Arbeit zurück. Deshalb konnte der Arbeitnehmer 12 weitere Urlaubstage für das Jahr 2016 nicht in Anspruch nehmen. Hierfür verlangte er vom Arbeitgeber im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens Urlaubsabgeltung. Der Arbeitgeber lehnt das ab. Er ist der Auffassung, dass mit den 26 in Anspruch genommenen Urlaubstagen der gesetzliche Mindesturlaub von 20 Tagen und der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte von weiteren 5 Tagen bereits enthalten war. Die darüber hinausgehenden tariflichen Urlaubsansprüche seien nicht abzugelten. Insofern verweist der Arbeitgeber auf die im Tarifvertrag geregelte Ausschlussfrist von 3 Monaten zum Ablauf des Urlaubsjahres. Der Arbeitnehmer wendet ein, dass der Arbeitgeber die Reihenfolge des in Anspruch zu nehmenden Urlaubs nicht geregelt habe. Deshalb müsse der Arbeitgeber nun hinnehmen, dass der Arbeitnehmer zuerst seinen tariflichen Urlaub in Anspruch genommen habe. Deshalb seien der gesetzliche Mindesturlaub noch teilweise und der gesetzliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte in voller Höhe noch offen und abzugelten. (BAG, Urteil vom 01.03.2022 – 9 AZR 353/21)



Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Thomas Langner (Chemnitz) zum Thema: Reihenfolge der Inanspruchnahme von Urlaub
Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht arbeitet in seiner Entscheidung zunächst heraus, dass es sich zwar um einen einheitlichen Anspruch auf Urlaub handele. Allerdings beruhe die Höhe des Gesamturlaubs auf drei verschiedenen Grundlagen. Einerseits sehe das Bundesurlaubsgesetz einen gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen vor. Andererseits sehe das Gesetz 5 Tage Zusatzurlaub für Schwerbehinderte vor. Und schließlich sei im Tarifvertrag ein weiterer Anspruch auf Zusatzurlaub geregelt. Haben die Arbeitsvertragsparteien im Arbeitsvertrag keine Regelung dazu getroffen, welcher dieser drei Urlaubsansprüche zuerst in Anspruch zu nehmen ist, müsse auf den hypothetischen Parteiwillen abgestellt werden. Danach sei anzunehmen, dass zunächst der gesetzliche Urlaub (20 Tage Mindesturlaub, danach 5 Tage Zusatzurlaub für Schwerbehinderte) gewährt werden soll. Erst danach kommt es zur Gewährung weiterer vereinbarter Zusatzurlaubsansprüche (hier der Anspruch auf 12 Tage Zusatzurlaub nach dem Tarifvertrag). Da der Arbeitnehmer bereits seine ihm insgesamt zustehenden gesetzlichen Urlaubsansprüche von 25 Tagen (Mindesturlaub und Zusatzurlaub als Schwerbehinderter) in Anspruch genommen hatte, war kein gesetzlicher Urlaubsanspruch mehr offen. Der Arbeitnehmer hätte daher allenfalls noch die Ansprüche auf Urlaubsabgeltung nach dem Tarifvertrag einfordern können. Das war aber nicht möglich, weil hier die 3-monatige Ausschlussfrist nicht gewahrt war. Der tarifliche Zusatzurlaub war damit verfallen. Damit bestand kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Die Klage wurde angewiesen. (BAG, Urteil vom 01.03.2022 – 9 AZR 353/21)












Eingestellt am 19.12.2023 von Dr. Thomas Langner
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